Ist Latein die späte Rache der Römer an uns?

Wir sind von Latein umzingelt, ohne es zu merken… Alleine im folgenden Text befinden sich zahlreiche Begriffe, die aus dem Lateinischen stammen:

Felix fährt zur Schule. Er klettert über die Mauer aus Ziegeln und Zement. Schweißgebadet trifft er in der Aula den Rektor, einen Oberstudiendirektor, der ihn daran erinnert, noch schnell im Sekretariat das Formular zur Anmeldung für die Abiturprüfung auszufüllen, um nicht die 13. Klasse wiederholen zu müssen. Dann schlägt er sich in Mathe mit plus und minus, mit Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren, Potenzieren herum, bestimmt im Musikunterricht Sekunden und Terzen und nutzt im Informatikunterricht den Computer mit Explorer und Enter. Völlig erschöpft relaxt Felix bei einem Krimi auf Video – zum Glück gibt es bald Ferien!

Wozu soll ich mit Latein eine Sprache lernen, die nicht mehr gesprochen wird? Und warum halten die Universitäten weiterhin am Latinum fest?

Latein als SPRACHMODELL

Die lateinische Sprache bietet als MODELL Einblick in den Aufbau und das Funktionieren von Sprache GENERELL. So lernen die Schüler, sehr genau auf Grammatik, Satzstrukturen und Satzfunktionen zu achten.

Ein Beispiel:

Latein vermittelt SPRACHKOMPETENZ

Indem der Lateinunterricht großenteils auf das Sprechen der Sprache verzichtet, schafft er Raum für die Schulung der Zielsprache, also des Deutschen: Sprachkompetenz statt Sprechkompetenz der modernen Fremdsprachen. Da am Ende einer jeden Übersetzung eine sehr gute deutsche Formulierung steht, wird das deutsche Ausdrucksvermögen deutlich verbessert. Die intensive Textarbeit umfasst auch sprachlich-stilistisches Arbeiten und unterstützt so den Deutschunterricht.

So ist zu diskutieren, ob "liberi munus habent: discere debent!" meint: Kinder haben die Aufgabe: sie müssen lernen. Oder: Kinder haben eine Aufgabe, nur eine Aufgabe oder auch eine Aufgabe. Die knappe lateinische Sprache lässt uns Raum zum Diskutieren. Und einem aufmerksamen Leser dürfte bereits aufgefallen sein, dass in dieser einfachen Stelle aus unserem Lateinlehrbuch mit "discere debent" eine Alliteration vorliegt, mit der der Lehrer seiner Ermahnung an die Schüler besonderes Gewicht verleihen will.

Latein vermittelt LESEKOMPETENZ

Lesen ist nicht gleich Lesen, wie schon die PISA-Studie bewiesen hat mit ihren Textaufgaben.

In der lateinischen Sprache kann ein einzelner Buchstabe den Sinn eines ganzen Satzes verändern. Ohne genaues Hinschauen, mikroskopisches Lesen genannt, landet man schnell auf dem Irrweg. "Vires me deficiunt": Wer hier vires und viri verwechselt, dem gehen nicht die Kräfte, sondern die Männer aus.

Ohne Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, Interesse an Sprache und Genauigkeit beim Arbeiten funktioniert das nicht. Dafür fördert Latein aber ebendiese Tugenden sowie analytisches Denken und problemorientiertes Denken – zukünftige Arbeitgeber werden sich freuen!

Latein als MUTTER der romanischen Sprachen

Latein als Mutter der romanischen Sprachen führt zu ihrem Ursprung zurück, schafft damit einen schärferen Blick für verbindende Strukturen und ermöglicht so ihr schnelleres Erlernen. Wir sind alle eine große Familie - familia – famiglia – famille – family!

Latein als KULTURFACH

Latein ist nicht nur Sprachunterricht, Latein ist auch die Welt und Kultur der Römer.

Die römische Antike als das uns "nächste Fremde" (Uvo Hölscher) ist Grundlage unseres ganzen europäischen Verständnisses, aber in ihrem Denken uns oft sehr fern. So müssen wir zunächst versuchen, das uns Fremde aus der antiken Gedankenwelt heraus zu verstehen. Einiges gewinnt dann erstaunliche Aktualität, anderes bleibt für uns heute weiterhin fremd. Sich mit der Diskrepanz zu beschäftigen, sich ein fundiertes Urteil zu bilden, fordert Reflexionsvermögen und Selbstkritik.

Latein ist nicht nur Sprache, sondern Literatur, Politik, Geschichte, Philosophie, Mythologie, Religion, Kunst. Indem wir Caesars Rechtfertigungsstrategien in seinem "Bellum Gallicum" zu durchschauen lernen, uns mit Seneca fragen, was ein wahrer Freund, was Glück ist, anhand von Ciceros "De re publica" Theorien vom Staat und Definitionen vom bellum iustum (gerechter Krieg) hinterfragen oder diskutieren, ob Augustus Totengräber oder Friedensfürst war, wie eine Dokumentation reißerisch formuliert – all das erweitert unseren Horizont und lässt Rom und römisches Denken lebendig werden.

Und last but not least: Ohne die Römer gäbe es uns Europäer nicht. Rom schuf ein Weltreich – wir sind seine Erben. Neben vielen Unterschieden verbindet uns Europäer unsere gemeinsame Vergangenheit, unser kulturelles Fundament: lernen wir dieses an Originaltexten von der Antike (Ovid) über Mittelalter und Neuzeit (Erasmus, Thomas Morus u. a.) kennen, erhalten wir eine vertiefte kulturelle Identität als Europäer. Europa ist mehr als eine gemeinsame Verfassung, es entsteht zuallererst in unseren Köpfen.

Latein vermittelt METHODENKOMPETENZ

Mit dem Lehrbuch "Pontes" von Klett haben wir ein schülerorientiertes anspruchsvolles und vielseitiges Lateinbuch gewählt, das altersgerechte Texte bietet und mit speziellen Methodenkapiteln und Kapiteln zur Selbstevaluation selbständiges Arbeiten fördert und die Methodenkompetenz schult. In der Lektürephase ab Klasse 10 werden an die Lerngruppen angepasste Lektüreausgaben gelesen.

Latein lernen am Elo

Latein kann ab der 6. Klasse als 2. Fremdsprache gewählt werden. Wird Latein am Ende der 10. Klasse mit mindestens ausreichender Note abgeschlossen, erhält der Schüler das Latinum.

In der MSS kann Latein als Grundkurs, oft auch als Leistungskurs gewählt werden.